Ich könnte wetten, und ich würde ziemlich selten verlieren. Die Wette ginge so: Ich weiß, wie sich Teilnehmer:innen verhalten, wenn ich sie bitte, sich einfach mal vor die Kamera zu stellen.
Frauen setzen die Füße dicht nebeneinander, oft ohne Zwischenraum. Männer platzieren die Fersen mindestens hüftbreit voneinander entfernt, die Zehenspitzen sind nach außen gedreht, sodass ein „V“ entsteht. Lasse ich noch ein kurzes Statement sprechen, arbeiten die Beine. Mal verlagert sich das Gewicht auf ein Bein, mal wippen die Füße oder die Teilnehmer:innen beginnen, hin und her zu laufen.
„Macht doch nichts", könnten Sie sagen. „Macht schon was“, halte ich dagegen. Oder wie finden Sie es, wenn durch die Gewichtsverlagerung der Oberkörper schief oder Ihr Blick beim Mitlaufen seekrank wird?
Ein stabiler Stand erzeugt Ruhe und vermittelt Souveränität. Das fühlen Sie innerlich, wird äußerlich sichtbar und geht so:
- Beide Füße stehen parallel, etwa hüftbreit auseinander. Die Zehenspitzen schauen geradeaus Richtung Kamera oder Publikum.
- Die Knie sind nicht durchgedrückt, sondern leicht angewinkelt.
Wenn Füße und Knie bereit sind, geht es um die Stabilität. Hier helfen Bilder und praktische Übungen:
1. Verlagern Sie das Gewicht der Füße auf die Zehen, dann auf die Fersen, auf die linke und die rechte Außenkante. Nehmen Sie die Fläche der Füße wahr. Das ist Ihr Sockel.
2. Stellen Sie sich vor, aus Ihren Fußsohlen wachsen Wurzeln tief in den Boden. Sie sind verwurzelt.
3. Ihre Beine sind zwei Säulen. Füllen Sie sie mit Ihrem Lampenfieber. Die Beine werden schwer und stabil.
Das fühlt sich ungewohnt an, üben Sie es beim Warten auf die U-Bahn oder an der Supermarktkasse – und ich wette, dann können Sie es, wenn’s drauf ankommt!
PS: Liebe M., herzlichen Dank für viele Stunden Unterricht.
Was machen Sie, wenn ein Kollege oder eine Freundin erzählt, wie einsam es im Homeoffice ist? Oder er oder sie müde und erschöpft ist? Mir fällt sofort eine Lösung ein: „Wolltest Du nicht öfter ins Büro?“ Oder: „Mensch, geh‘ doch nicht so spät ins Bett!“ Kurz bevor die Worte von der Zunge springen, bremse ich. Will mein Gegenüber das hören? Also frage ich: „Möchtest Du, dass ich etwas dazu sage?“
Mag schon sein, dass Sie und ich unsere Gedanken sehr schlau finden, und so freundlich sind, unsere Ideen und unser Wissen großzügig weiterzugeben. Es ist gut gemeint. Wir wollen helfen – Recht geben, zur Seite springen oder zeigen, dass das Gegenüber mit seinen Erfahrungen und Gefühlen nicht allein ist. Deshalb bewerten wir, kommentieren, packen unsere eigenen Befindlichkeiten aus. Wir füllen den Raum mit unseren Worten, für das Gegenüber wird es eng.
Halten Sie mal inne und bitten um Erlaubnis – mit Formulierungen wie:
– Möchtest Du etwas dazu hören?
– Mir geht es ähnlich. Interessiert es Dich?
Noch wichtiger ist es, die Erlaubnis einzuholen, wenn man ungefragt etwas Kritisches sagen möchte:
– Ich sehe es anders. Interessiert Dich meine Meinung?
– Kann ich etwas sagen, was Dir vermutlich nicht gefallen wird?
Manchmal will sich das Gegenüber nur etwas von der Seele reden. Vielleicht sogar jammern und wehklagen. Ist noch nicht so weit, über eine Lösung nachzudenken. Klopfen Sie, bevor Sie eintreten. So sind Sie willkommen, wenn Sie zu sprechen beginnen.
Liebe Leser:innen, ich falle mal mit der Tür ins Haus: Mich nervt es, wenn ich einer Freundin oder einem Freund einen Ausflug vorschlage und als Antwort höre: „Ja, aber“. Ich nenne den Tag und höre „Ja, aber“. Ich habe eine Idee, wohin wir fahren könnten –
„Ja, aber“. Ich schlage die Uhrzeit vor – „Ja, aber“. Das mag zugespitzt sein, ist aber nicht irreal.
Im Büro ist es oft ähnlich: Jemand bittet um einen Rat oder eine Textkorrektur und quittiert jede Idee, jeden Hinweis ohne Luft zu holen mit einem „Ja, aber“. Da hat mich doch jemand etwas gefragt! Warum bremst er/sie meinen Gedanken unmittelbar mit einem „aber“ aus, vielleicht könnte man einen Moment nachdenken?
Sage ich selbst „Ja, aber“, fühle ich mich auch nicht gut. Ich will nicht direkt widersprechen, sondern gemeinsam eine Lösung finden – also versuche ich, das „aber“ zu vermeiden.
„aber“ lässt sich locker austauschen. Der Duden bietet Synonyme wie „hingegen“, „doch“ oder „andererseits“. Ich mag „allerdings“. Beim Sprechen hat es mehr Schwung und einen schöneren Klang. Und wie sagt man? Der Ton macht die Musik.
Da sitzt jemand, Beine breit, die Arme gestikulierend in einem „V“ über dem Kopf und erklärt vermeintlich die Welt.
Da spricht mich jemand an, die Hände in die Hüften gestemmt, die Ellbogen spitz nach außen gewandt.
Vielleicht verhalten sich die Menschen unbewusst so oder ihre Körpersprache stammt aus einem der zahlreichen Karriereratgeber. Dort lässt sich oft lesen: Wer sich breit macht, den Raum besetzt, signalisiert Kraft und Durchsetzungsvermögen. Mich irritiert das.
Ich frage mich, mit welcher inneren Haltung begegnet man mir: Was will das Breitbeinige signalisieren? Wieso sollte ich mich öffnen, wenn jemand die Ellbogen ausfährt? Ich mache zu und tue alles dafür, dass sich mein Gegenüber nicht durchsetzt. Im Gespräch mit mir verpuffen sichtbare Machtgesten oder bewirken sogar das Gegenteil.
Aber vielleicht sind sie nicht so schlecht, wenn man sie richtig einsetzt. Darauf hat mich die Sozialpsychologin Amy Cuddy mit ihrem Buch „Presence“ gebracht. Sie hat beobachtet, dass Powerposen den Testosteronspiegel erhöhen und das Stresshormon Kortisol reduzieren. Deshalb empfiehlt sie, eine selbstbewusste Haltung einzunehmen, auch wenn einem gerade nicht so zumute ist, nach ihrem Motto „Fake it, until you become it“.
Selbstbewusst ist nicht angeberisch. Selbstbewusst heißt, ich nehme den Raum ein. Wie sich das anfühlt, lässt sich mit Powerposen im stillen Kämmerlein üben. Breiten Sie die Arme aus, richten Sie sich auf, stemmen Sie die Hände in die Hüften. Machen Sie sich damit vertraut. Bei einem Vortrag oder im Interview nehmen sie die Haltung unsichtbar in Ihrer Vorstellung ein. Dann sprechen wir nicht über Posen, sondern von Präsenz.
Lampenfieber ist unerwünscht. Man will es loswerden, weil es für wenig Professionalität oder gar Coolness steht. So wird inhaltlich verknappt, was vielschichtig ist. Lassen Sie uns gängige Klischees widerlegen:
1. Nur Laien haben Lampenfieber
Das stimmt nicht und geht in der Unternehmenswelt oftmals mit Überheblichkeit einher. Große Künstler:innen berichten, wie die Aufregung sie ein Leben lang quält. Sie verbinden Lampenfieber mit Demut angesichts der künstlerischen Leistung und dem Respekt vor dem Publikum.
2. Lampenfieber muss weggehen
Das ist ein Wunsch, der im Kopf entsteht. Lampenfieber ist eine körperliche und geistige Reaktion angesichts der Herausforderung, die man gleich zu bewältigen hat. Das wird nicht weggehen, damit sollten Sie umgehen.
3. Lampenfieber ist aufgesetzt
„Wenn das jemand kann, dann Du“ – solche und ähnliche Sprüche sind gut gemeint, helfen aber nicht weiter. Ganz im Gegenteil. Profis wissen um die Feinheiten ihrer Disziplin und wollen diese zeigen.
Lampenfieber ist gut und richtig und wichtig. Trotzdem bleibt die Frage, was hilft? Das sind meine Stresslöser:
1. Ich bereite mich vor. Das bedeutet nicht, nochmal drei Bücher querzulesen. Ich sammle und entscheide mich. Fertig bin ich, wenn ich meine Route kenne und vor allem weiß, was ich rechts und links liegen lasse.
2. Schlucken soll Stress verringern. Deshalb trinke ich vor dem Start ein Glas stilles Wasser.
3. Ich „stehe“ mich schon vorher ein. Das heißt, Füße hüftbreit auseinander, Zehenspitzen geradeaus und dann den Kontakt der Fußsohlen mit dem Boden spüren. Das gibt Stabilität und vermeidet später auch ein hin und her wippen.
4. Mein letzter Gedanke vor dem Auftritt ist positiv.
Es gibt unzählige weitere Tipps. Sie werden niemals alle beherzigen können. Finden Sie die Routine, die zu Ihnen passt. Und denken Sie daran: Heißen Sie Ihr Lampenfieber willkommen, es kündigt etwas Besonderes an!
Ausatmen hilft – gerade dann, wenn Atmung vermeintlich das Letzte ist, womit man sich befassen will. Bei Lampenfieber, unter Stress oder wenn der Kragen gleich platzt. Der Körper sendet Signale: die Schultern rutschen zu den Ohren, der Mund ist trocken und der Atem stockt. Das fühlt sich schlecht an und ist nicht kommod, um im nächsten Moment einen Streit zu schlichten oder einen Vortrag zu halten.
Ausatmen löst die Anspannung. Das reicht schon. Es muss für diesen Zweck nicht mit einer bestimmten Zählweise verbunden sein. Das ist der Meditation oder dem Yoga vorbehalten. Auch ein bewusstes Einatmen ist nicht notwendig, weil der Ein-Atem von selbst nachströmt. Nur üben sollten Sie das Ausatmen, damit Sie es angespannt abrufen können. Üben Sie’s – während des Online-Meetings, an der Supermarktkasse und vorm Einschlafen.
Ich verbinde das Ausatmen übrigens mit einem besonderen Satz von Erich Fried. An diesem Satz kann man sich festhalten, wenn’s ganz dicke kommt: „Sein Unglück ausatmen können, tief ausatmen, so dass man wieder einatmen kann“.
(Zitat: Erich Fried, „Aufhebung“, Gesammelte Liebesgedichte, Verlag Klaus Wagenbach, 2004)
So mit sechs oder sieben Jahren sollten wir nicht „Ich will …“ sagen. Meine Eltern korrigierten uns: „Das heißt, ich möchte bitte …“ - und nannten es gute Erziehung. Dabei steckt in „will“ doch so viel Ungestüm und Kraft. Was ich will, was ich wirklich will, liegt mir doch am Herzen.
Die gute Erziehung fällt mir oft bei Redner:innen auf. Sie beginnen zu sprechen, geben beispielsweise einen Überblick über das, was kommt, und formulieren wohlerzogen so:
„Ich möchte mich auf zwei Themen konzentrieren“ oder
„Ich möchte Ihnen das Problem schildern“.
Das ist ein höflicher Auftakt. Zu höflich.
„möchte …“ zählt zu den Modalverben und beschreibt eine Absicht. Nicht mehr.
Wer mit „Ich werde …“ startet, teilt zumindest einen Entschluss mit. Dem Publikum wird klar, es wird so sein.
Wer aber ein Verb verwendet, spricht und handelt im selben Moment: „Ich konzentriere mich …“ oder „Ich schildere …“. Schon die aktive Formulierung vermittelt mehr Kraft und stärkt die Präsenz des/der Vortragenden.
Sie wissen, ich lehne keine Formulierung für immer ab. Je nach Situation, Gesprächspartner:in oder eigenem Bedürfnis kann „möchte“ das passende Wort sein. Wenn Sie einen Vortrag halten, aber vermutlich nicht. Sie haben sich vorbereitet. Es ist Ihr Auftritt. Dann machen Sie auch ‘ne klare Ansage!
(Siehe auch 20.11.2021, „würde“ macht sich zu breit – Der Konjunktiv beschreibt (nur) die Möglichkeit.)
Rot ist auf allen Podien zu sehen – klassisch im Blazer, als Krawatte, gestylt als Sneaker oder Socke. Die Farbe Rot macht einen guten Job: sie fällt auf, zieht die Blicke auf sich. Karriereseiten setzen Rot mit Dynamik, Kraft und Macht gleich. Wer Rot trägt, wirkt selbstbewusst, heißt es. Keine andere Farbe muss so viel leisten – armes Rot.
Und so wird Rot zu oft wegen dieser vermeintlichen Symbolik getragen. Dann kann es von der Person ablenken, lässt sie womöglich blass erscheinen. Welches Feedback möchten Sie vom Publikum hören: „spannende Socken“ oder „fesselnder Inhalt“?
Ein Modeschöpfer unterschied einmal zwischen den Komplimenten „Das ist ein tolles Kleid“ und „Du siehst gut aus“. Ich erinnere mich nicht an seinen Namen, aber ich habe mir diese Abstufung gemerkt. Ein Kleidungsstück ist gut gewählt, wenn es die Ausstrahlung unterstreicht. Nur dann darf es Rot sein.
Zum Abschied ein Kuss.
Zart oder stürmisch.
Und Schluss.
Von lieben Menschen verabschieden wir uns so, dass etwas nachhallt. Vor Publikum enden Vorträge oft gedankenlos, erschöpft:
„Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Mmm, wenn Sie noch Fragen haben, sprechen Sie mich gerne an. Zu meinem Thema empfehle ich Ihnen die Veröffentlichung zz. Meine Folien erhalten Sie auf der Webseite des Kongresses. Danke, äh, danke nochmals.“
Aber auch ein Vortrag endet mit einem Abschied: Was jemand zuletzt spricht, bleibt in Erinnerung.
Redner:innen versinken in der Vorbereitung ihrer Inhalte in ihrem Wissen. Konzentrieren sich auf all das, was sie unbedingt loswerden wollen. Sie überlegen kaum, wie sie das Publikum entlassen möchten. Das Ende des Vortrags hinkt, wird ein gestolpertes Dankeschön oder die Ankündigung der Kaffeepause. Achten Sie mal darauf! Selten gibt es eine Punktlandung oder einen starken Schluss.
Ein pointierter letzter Satz muss vorher geplant werden. Er kann innig oder pathetisch sein: „May flights of Angels sing thee to thy rest“. Er kann ein Appell sein: „Das ist die Aufgabe. Tun wir’s“. Oder Sie enden mit einem Fazit: „Ihr Vortrag verdient einen guten Schluss!"
Rufen Sie nicht einfach Tschüss oder Servus.
Geben Sie niemals flüchtig die Hand.
Küssen Sie!
Lesen Sie auch:
So wichtig wie der erste Kuss. Der erste Satz entscheidet über den Erfolg, 20. September 2022.
Quellen:
König Charles III, Rede an die Nation, 9.9.2022
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, 28.10.2022
Ich spreche schnell, weil ich schnell denke. – Wer ohne Pause spricht, findet das prima, wenn ich ihn oder sie darauf aufmerksam mache. Manche Zuhörer:innen goutieren das hohe Tempo, sie setzen es mit Dynamik und Selbstbewusstsein gleich. Kurzfristig!
Wie lange hält man es aus, mit Wörtern beworfen zu werden, ohne die Chance, sie zu fangen? Und wie lange hält der Sprechende das durch? Erschöpft werden beide aufgeben: Wer pausenlos spricht, wird bald atemlos sein. Zugetextet weiß die Zuhörerschaft, es war viel, es war schnell – nur, worum es ging und wie das mit den Details war, weiß sie nicht!
Ich höre oft, das Sprechtempo korreliere mit der Zielgruppe oder sei naturgegeben. Meine Erfahrung ist eine andere. Es ist ein Muster, das wir uns angeeignet haben. Man spricht automatisiert, emotionslos und ist mit den Gedanken drei Sätze voraus. Vortragende kennen ihre Inhalte in- und auswendig. Aber das Publikum hört sie zum ersten Mal!
Was können Sie ausprobieren, um es den Zuhörer:innen leicht zu machen?
– Schärfen Sie Ihre Wahrnehmung.
Wir unterschätzen unser Sprechtempo. Nehmen Sie sich doch mal auf. Lernen Sie Ihr Tempo erst kennen, dann können Sie es variieren.
– Entwickeln Sie den Gedanken, während Sie ihn sprechen.
Ein Bild dazu: Ihre Gedanken und Ihr Mund gehen spazieren. Wann rennen die Gedanken voraus und der Mund stolpert hinterher? Wann plappert der Mund drauf los, lässt die Gedanken stehen? Gleichauf beginnt das Lustwandeln.
– Nehmen Sie sich vor, mit jedem Satz die Zuhörerschaft zu erreichen, so als ob jedes Wort ein Ball ist, der die Wissenslücke zwischen Ihnen und den anderen überwindet. Das Gegenüber muss den Ball fangen können, bevor der nächste kommt!
Und wozu das alles? Damit Sie verstanden werden :-)
PS: Herzlichen Dank an M. für den fachlichen Austausch.
„Ich habe in keine Kasse gegriffen, und ich bin nicht korrupt.“
Die Medien zitieren den Angeklagten, kurz bevor ihn die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt verurteilt. Sobald der Angeklagte das Wort „korrupt“ ausspricht, verbinden es die Zuhörer:innen auch mit ihm. Das kann nicht sein Interesse sein. Dummerweise läuft aber unser Kopfkino an. Wir wissen genau, was einen korrupten Menschen ausmacht. Sie sind auch auf „korrupt“ in der Überschrift angesprungen? Sie sehen, es funktioniert.
Was der Angeklagte macht, machen wir alle häufig: Wir sagen, wer wir nicht sind oder was wir nicht wollen – insbesondere dann, wenn wir uns angegriffen fühlen. Sie kennen Beispiele wie:
- Ich bin nicht beleidigt.
- Ich habe nicht geschlampt.
- Das ist nicht zu teuer.
Verneinungen lenken die Zuhörerschaft in eine Richtung, in die der/die Sprechende nicht wollte. Sie können sogar irreführend sein. Aber sie stellen sich schnell unbemerkt ein. Bestimmt haben Sie schon einmal zu einem Kind gesagt …
„Pass auf, dass das Glas nicht runterfällt.“
… und sich wenig später gewundert, dass der Saft über den Tisch läuft. Hilfreich wäre:
„Pass bitte auf, dass das Glas stehen bleibt.“
Wollen Sie mal darauf achten, wann Sie negativ formulieren? Fragen Sie sich, ob es einen positiven Satz geben kann. Und: Sagen Sie, wer Sie sind und was Sie wollen.
(Quelle: web.de, 23.12.22, 10:32 Uhr, Zum Artikel)
Lassen Sie es! Lernen Sie Ihren Text nicht auswendig. Nicht das Statement für die Kamera und schon gar nicht eine ganze Rede. Sie hören den Unterschied zwischen einem gesprochenen Wort, das an ein Gegenüber gerichtet ist, und einem aufgesagten Satz selbst.
Trotzdem ist die Versuchung groß. Denn Sie haben sich den Kopf zermartert, etwas Kluges oder Berührendes formuliert. Das soll bitte genauso wiedergegeben werden. Lampenfieber oder Nervosität könnten Ihr Kunstwerk zerstören. Deshalb lernen Sie es auswendig. Das ist verständlich, produziert aber mehr Stolperfallen.
Die erste Falle ist Ihr Text. Ein im Stillen aufgeschriebener Satz ist oft „verkopft“ oder „gestelzt“. Die Sätze sind länger, der Satzbau ist komplizierter, die Wortwahl abstrakt. Wer spricht, spricht in kurzen Sätzen oder Abschnitten, verwendet öfter Verben, ist konkreter. Geschriebene Sprache ist (meist) keine gesprochene Sprache!
Die zweite Falle ist die Sprechmelodie. Sofern Sie kein ausgebildeter Profi-Sprecher sind, klingt ein gelernter Satz oft monoton. Er wird vielfach zu schnell gesprochen, um ihn zügig vollständig loszuwerden. Spreche ich ein Gegenüber an, betone ich unterschiedlich, klinge ich lauter und leiser je nach Gewichtung des Gesagten.
Drittens macht der Anspruch Druck. Wenn einem die ausformulierten Sätze nicht exakt einfallen, droht ein Blackout. Auch nicht gut. Verlassen Sie sich darauf, dass Sie täglich mehrere hundert Sätze freihändig sprechen.
Es ist sinnvoll, den Text einmal auszuformulieren: Sie sortieren dabei die Gedanken, entdecken ein schönes Sprachbild, legen fest, was Ihnen wichtig ist. Damit sind Sie allerdings noch nicht fertig! Sprechen Sie jeden Satz laut. Achten Sie darauf, ob Sie stolpern oder die Luft knapp wird. Dann könnte der Satz zu lang oder komplex sein. Hören Sie hin, ob Sie wirklich so sprechen! Ist die Formulierkunst vielleicht mit Ihnen durchgegangen?
Auch Auswendiglernen ist wertvoll – in Maßen und gezielt! Lernen Sie den Anfang und das Ende auswendig. Der erste Satz ermöglicht den sicheren Start, der letzte ist die Haltelinie. Dazwischen liegen Etappenziele. Sie steuern Sie an, indem Sie Stichpunkte und eine Struktur festlegen. Diesen Rahmen füllen Sie mit ihren dann frei formulierten Sätzen. Ihr Vortrag profitiert: Er ist überlegt und lebendig.
(siehe auch „So wichtig wie der erste Kuss. Der erste Satz entscheidet über den Erfolg“, 20.09.2022)
Ein Trennungsgespräch.
„Das musst Du jetzt akzeptieren“, verlangt er von ihr.
Wenig später klingelt mein Telefon.
Sie schluchzt: „Sagt der doch zu mir ‚Das musst Du jetzt akzeptieren‘!“
Als ob die Trennung nicht reichen würde, schürt „Das musst Du jetzt akzeptieren“ Wut und Groll. Das ist unnötig. Überflüssig. Wörter meinen vielleicht dasselbe, aber jedes Wort transportiert etwas anderes. Ist es möglich, das Anliegen genauso entschieden, aber weniger schmerzhaft zu formulieren? Meine Alternative ist: „Ich bitte Dich, das zu respektieren.“
Die Zumutung fliegt raus, Wertschätzung zieht ein. Das beginnt mit dem Tausch von „Du musst“ in „Ich bitte“:
1. Die Perspektive wechselt:
Aus „Du“ wird „Ich“: Ich sage, was mit mir los ist, nicht wie „Du“ dich zu verhalten hast.
2. Der Charakter der Aussage verändert sich:
Aus einer Ansage „… musst du …“ wird ein Wunsch „… bitte dich, …“.
3. Die Provokation verschwindet:
Ein „Du musst …“ quittiere ich mit einem „Du sagst mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe“.
Weiter geht's mit dem Verb. „Akzeptieren“ irritiert:
-„Acceptare“ bedeutet „annehmen, genehmigen“. „Wie, ich soll die Trennung auch noch genehmigen?“, käme mir in den Sinn.
-„Respectare“ bedeutet „achten“. Das ist schwer genug, lässt mir aber die Freiheit, die Trennung nicht gut zu finden.
Ich höre die Einwände: „Solche Sätze fallen mal im Streit. Da kommt’s nicht auf die Sprache an!“
Doch, kommt es schon! Gerade im Konflikt zählt jedes Wort - ob zuhause oder im Büro. Wenigstens das könnte ein:e Kritiker:in oder ein:e Herzensbrecher:in tun: Die Worte wachsam wählen.
(Quelle: https://www.navigium.de/latein-woerterbuch)
Training vor der Kamera. Die Teilnehmer:innen bereiten ein Statement vor. Ich rate davon ab, den ganzen Text auswendig zu lernen. Besser ist es, sich den ersten Satz gut zu überlegen und diesen nicht mehr zu verändern. Schon gar nicht spontan vor der Kamera. Das gilt auch für Vorträge oder Ansprachen. Eigentlich in jeder Lebenslage – Außer? Außer man ist sehr-sehr konzentriert und sehr-sehr routiniert.
Jemand meldet sich:
„Im Online-Vortrag ist der erste doch der Wegwerf-Satz, habe ich in einem Seminar gelernt. Was sagst Du dazu?“
Ich frage nach.
Die These vom „Wegwerf-Satz“ unterstellt, dass Zuhörer:innen im Online-Meeting weniger aufmerksam sind. Deshalb sollte der erste Satz unwichtig sein, so dass es am Ende egal ist, wenn er nicht verstanden wird.
Und was ist mit denen, die ihn doch verstehen? Lieber wäre mir, man wartet einen Moment, bis Ruhe eingekehrt ist, spricht bewusst langsam oder beginnt mit einer Begrüßung. Mir gefällt der Gedanke nicht, Sätze für den Müll zu formulieren.
Ein guter erster Satz macht neugierig. Schürt Erwartungen. Bringt vielleicht schon auf den Punkt, was folgen wird. Verknappt oder pointiert. Nennt ein Beispiel. Hebt eine Frage der Zuhörer:innen auf die Bühne. Verwendet Verben statt Substantive. Ein guter gesprochener erster Satz ist eher kurz, kennt selten ein Komma. Er ist prägnant und wichtig.
Ein guter gesprochener erster Satz ist die Hand, die ich dem Publikum reiche. Ist der Auftakt meiner Melodie. Ist der erste Kuss. Es heißt: In den ersten zwanzig Sekunden entscheiden Zuhörende, ob sie weiter zuhören möchten oder die Ohren verschließen, ihren Gedanken frei geben. Zwanzig Sekunden sind nicht viel. Etwa fünf getippte Zeilen. Misslingt mein erster Satz, bleibt wenig Zeit, um die Zuhörer:innen zu gewinnen. Falls sie nicht schon weg sind.
Mein nächster Blogbeitrag steht an. Ein Herzensthema - die Vielfalt der Sprache. Ich fange an und fange an und fange wieder an. Baue Szenen ein und wieder aus, streiche Sätze, verschiebe sie dann. Was ich gut erzählen kann, sperrt sich (in) der geschriebenen Sprache. Meine Argumente laufen quer, knallen aufeinander oder halten sich verstimmt raus. Es geht nicht voran. Ich lasse den Text liegen.
Eine Freundin gibt mir einen schmalen Zeitungsstreifen – ein Interview mit dem Schriftsteller Robert Seethaler. An einer Antwort bleibe ich hängen:
Frage: (...) Sie sind bekannt dafür, eher kurze Bücher zu schreiben. Kann auf 100 Seiten so viel gesagt werden wie auf 600?
Robert Seethaler: Genauso viel und genauso wenig. In einem guten Satz steckt mehr als in einem schlechten Buch. Erzählen heißt erfinden. (...) Schreiben heißt auswählen: Schlaglichter, Bilder, Momente. Wenn man Glück hat, kann man über eine solche Auswahl etwas vom Leben begreifen.
Das gilt nicht nur für die Literatur. Es gilt für jedes Statement, für Kundengespräche oder Social Media Posts. Während ich auswähle, begreife ich das Thema und mache es mir zu eigen. Das ist oft mühsam. Erst scheint doch alles wichtig. Lasse ich etwas weg, könnte genau das der Stein des Anstoßes sein? Risiko! Besser, ich biete alles an. Sollen doch die Leser:innen oder Zuhörer:innen rauspicken, was ihnen gefällt! Nur: Das werden sie nicht tun. Sie werden sich im Dickicht der Argumente verfangen. Ermattet aufgeben. Abschalten werden sie.
Einen Weg durch das Dickicht bahnen, das ist Kommunikation. Ich muss entscheiden, welche Perspektive ich einnehme. Will ich Beispiele nennen? Stelle ich Fragen, gebe ich Antworten? Geht’s um Lösungen, Probleme, die Zukunft oder Vergangenheit? Der Weg ist begrenzt: Er braucht eine Route, Etappen, ein Ziel. Nachvollziehbar, attraktiv. Sonst will niemand folgen. Oft ergibt sich eins aus dem anderen. Zwingend und klar. Manchmal nicht. Dann braucht es Zeit. Ist mühsam, unlustig. Groß ist die Versuchung, die Rede einfach so zu halten. Tun Sie es nicht! Sie verlieren die Zuhörer:innen. Nicht nur das eine Mal.
Mein Text über die Vielfalt braucht noch. Ich werde sortieren. Mich entscheiden. Die Argumente ordnen. Der Weg soll klar sein. Vielversprechend. Ein Weg, dem Sie gern folgen.
(Quelle: Literatur-Kolumne: Was lesen Sie? Miryam Schellbach, www.sueddeutsche.de, 14.6.2022)
Es ist passiert. Wieder einmal.
Das Telefon klingelt. Ich plane ein Seminar, hebe trotzdem ab. Eine Stimme fragt: „Störe ich?“
„Störe ich?“ ist gebräuchlich. Anrufer:innen wollen wissen, ob jemand Zeit für ein Gespräch hat. Sie unterstellen höflich, dass der oder die andere vielleicht E-Mails schreibt, Abendessen macht oder chillt – sie ihn also stören. Aber warum wertet man sich gleich zu Beginn als Störenfried ab?
Wenn es bei mir zur Unzeit klingelt, erzwingt ein „Störe ich?“ mein „Ja“ oder „Nein. Aber …“. Ich will das nicht sagen. Meist freue ich mich über die vertraute oder auch neue Stimme. Es ist nicht der Anrufer, der stört. Ich bin gerade nur beschäftigt.
Muss man ins Telefonat stolpern, wenn es Alternativen gibt? Der Auftakt setzt den Ton und bestimmt den Verlauf. Wer konkret und wohlwollend mit sich beginnt, formuliert zum Beispiel so:
- Hast Du fünf Minuten Zeit?
- Möchtest Du jetzt eine Geschichte hören?
- Kann ich Dich etwas fragen oder lieber später?
Wenn ich darauf antworte, beschreibe ich sachlich meine aktuelle Situation. Miteinander klären wir, wann es passt. Der Missklang des Störens entfällt.
Ich zweifle. Öfter mal. Am Können, an Entscheidungen, an der blauen Bluse. Heute weniger als früher. Jetzt. An diesem Text. Was will er hier, der Zweifel? Klebt ohnehin an meinen Fersen, gewährt den Vorsprung, holt mich wieder ein. Zweifle, ob ich zweifeln darf.
Der Zweifel ist unerwünscht. Gilt als Zeichen der Schwäche. Bremst Pläne aus, stellt Ansichten in Frage, kostet Zeit. Offenbaren sich Zweifler:innen, ermuntert der Partner „Sei doch selbstbewusster“, ermutigt die Mutter „Das ist grundlos“. So gesellt sich zum Zweifel die Niederlage, diesen nicht einfach wegschicken zu können.
Erich Fried schenkt dem Zweifel eine Haltung:
Zweifle nicht
an dem
der dir sagt
er hat Angst
aber hab Angst
vor dem
der dir sagt
er kennt keinen Zweifel
Der Zweifel braucht Grenzen. Er darf anmerken, aber nicht breitschlagen. Ich mag den Zweifel. In Maßen. Bestärke jede:n, ihn zu halten, sogar zu schätzen. Weil er korrigiert und das Lernen motiviert. Weil er vor Arroganz und Hochmut bewahrt. Ich achte den Zweifel. Als Sparringspartner. Als Wegbereiter des nuancierten Blicks.
Im Vortrag oder Interview ist kein Platz für den Zweifel. Er meldet sich vorher – stellt Fragen, ob man auftreten und was man sagen will. Mit der Entscheidung, ist sein Auftrag erledigt. Ganz konkret und mental. Auf der Bühne, im Gespräch ziehe ich durch, was ich mir vorgenommen habe. Und der Zweifel? Wartet – vor der Tür!
(Quelle: Erich Fried: Gedichte, Angst und Zweifel, dtv, 2003)
Ein Mann steht vor einer TV-Kamera. Ein gestandener Mann. Unternehmer, Geschäftsführer. Einer, der viel spricht. Motiviert, verhandelt, ansagt.
Die Kamera ist schwarz. Leblos. Starrt ihn an. Er erzählt, wer er ist, was sein Unternehmen macht. Völlig ungefährlich. Es geht um nichts. Trotzdem mag er sein Statement nicht. Zu Recht. Die Kamera verunsichert uns, es ist eine ungewohnte Situation. Also sprechen wir zu schnell, füllen Denkpausen mit „Äh“. Sätze werden Girlanden. Worte sind blutleer.
Ein gutes Statement entsteht nicht spontan. Es braucht Vorbereitung, Konzentration und Präsenz. Der „CEO Digital Video Index“ bewertet, wie gut das deutschen Konzern-Chefs gelingt. Darunter Siemens, Mercedes-Benz und Telekom. Die Bandbreite der Auftritte ist groß:
VW-Chef Diess filmt sich selbst auf einem elektrischen Surfbrett. Rice Powell, Chef von Fresenius Medical Care, sitzt. Sitzt da und dankt den Beschäftigten: „And again, thank you for what you do and who you are.“
Die Jury spaltet sich in Fans und Kritiker von VW-Chef Diess: „Echt cool. Klasse inszeniert. / Will er zeigen, dass er fit ist? / Wo ist der Entwickler des Surfbretts?“ Ganz anders Rice Powell. Er spricht unverblümt: „Our financial performance for this year is suffering.“ Mich berührt: „I could not be more proud of the work that we have done this year.“ Doch manchen fehlt die Inszenierung.
Die Diskussion bildet die privaten Meinungen ab. Manche mögen es schlicht, andere opulent. Laut oder leise. Bunt oder monochrom. Wir haben Vorlieben.
Der „CEO Digital Video Index“ will objektivieren, in drei Kategorien: dem Inhalt, dem visuellen Eindruck sowie der Stimme und Sprechweise. Schon die inhaltliche Bewertung stellt vier Fragen:
Ist die Aussage verständlich? Ist sie prägnant formuliert? Ist sie gut strukturiert und spannend erzählt? Der visuelle Eindruck beginnt mit dem Blick, berücksichtigt Mimik wie Gestik und auch den Hintergrund. Das akustische Charisma analysiert Tonhöhe, Sprechgeschwindigkeit und Phrasendauer.
Weil vieles zählt, ist vieles möglich: Obwohl Powell und Diess sehr unterschiedlich sind, liegt ihre Punktzahl dicht beieinander. Großes Kino gibt Punkte, menschliche Nähe aber auch.
Weil vieles zählt, ist vieles nötig: Ich bereite mich vor. Immer. Wenn's eng wird, in wenigen Minuten. Ich frage mich: Was will ich vermitteln, was ist der Zuhörerschaft wichtig? Welche Inhalte wähle ich? Ich überlege passende Bilder. Erzähle eigene Erfahrungen.
Ein Auftritt ist ein Anliegen: Ich spreche frei. Bin konzentriert. Erlaube mir Gestik, ein Lächeln. Will das Gegenüber erreichen.
Das Herz und den Verstand.
Video von Herbert Diess, Volkswagen
Video von Rice Powell, Fresenius Medical Care
Mehr Informationen über den CEO Digital Video Index
Im Journalismus ist das Wörtchen „man“ verpönt. Wenn ich als Hospitantin „man“ schrieb, kringelte es der Redakteur rot ein. Jedes Mal. Und jedes Mal die Frage: „Wer ist man?“ Als ob ein „man“ über mein Talent und Können entschied. Ja, wer ist „man“? Eine Frau, ein Mann, welchen Alters, sind es viele oder wenige? Die Lesenden wissen es nicht, sehen „man“ nicht vor ihrem inneren Auge. So tauschte ich unzählige Male „man“ gegen Spaziergänger, Verbraucher oder ähnliches, bis ich endlich überzeugt war, man darf niemals „man“ sagen.
Jahre später: Ich interviewe nach einer Naturkatastrophe eine Braut. Sie hat überlebt, ihr Verlobter nicht. Sie erinnert sich: „Man hörte erst das Rauschen. Man versuchte, den Kopf über Wasser zu halten.“
In meinem Kopf springt die Regel an: Kein „man“. Sie muss „ich“ sagen. Soll ich sie bitten, es zu wiederholen?
Ihre Stimme zittert, droht wegzubrechen. Ich sage nichts.
„Man“ schleicht sich zufällig ein, unüberlegt, unbewusst. Wer über sich spricht und „man“ verwendet, ist nicht greifbar. Das kann eine gut gemeinte Höflichkeit sein, weil man sich selbst nicht so wichtig nehmen möchte. Dann berichten Teilnehmer:innen in einer Übung im Medientraining: „Ich fahre Rad, weil man gut abschalten kann.“ oder „Jetzt ist meine Tochter 18, da ist man schon stolz.“. Ich frage dann: „Und Sie, sind Sie nicht stolz?“
„Ich“ macht sich etwas zu eigen: Ich kann gut abschalten. Es bezieht einen Standpunkt. „Ich“ beansprucht den Stolz. Es ist angreifbar, sogar verletzlich.
„Man“ vertritt viele: Es verallgemeinert, berichtet von Gepflogenheiten, ist ein Stellvertreter. Ich kann mich dahinter verstecken. Grundlos. Oder Zuflucht suchen. Dann stellt es sich schützend vor mich.
„Ich würde dann anfangen“, sagt der Yogalehrer und beginnt im selben Moment. Ist er höflich, verlegen oder redet er sich warm? Er fängt doch an, warum sagt er dann „würde“? Auf den Konjunktiv könnte er verzichten. Tut er aber nicht – wie zahllose andere Sprecher:innen auch: Sie würden nach der Pause weitermachen. Sie würden etwas vorschlagen oder abschließen. Dabei ist der Satz „Ich fange jetzt an“ ein Startschuss: Ich richte mich auf und höre zu.
Der Versuch, höflich zu sein, ist wohl der Ursprung der „würde“-Inflation. Erinnern Sie sich an Ihre Bewerbungsschreiben? Sie endeten vermutlich mit: „Über ein Gespräch mit Ihnen würde ich mich freuen.“
Auch in diesem Fall freut sich der Bewerber sicher über eine Einladung. Warum schreibt er das aber nicht?
„Auf ein Gespräch mit Ihnen freue ich mich.“ So vermittelt er gleichzeitig, dass er mit einer Einladung rechnet. Ist das unhöflich oder zu selbstbewusst?
Inzwischen hat sich der Konjunktiv zu einem Schutzschild gemausert. Falls jemand widerspricht, kann der Redner elegant zurückrudern: „Es war doch nur ein Vorschlag.“ Das ist sinnvoll bei verwegenen Ideen wie „Ich bestelle Champagner für alle“.
Halte ich aber einen Vortrag, steht mein Name im Programm, ich habe ein Zeitfenster und die Zuhörer:innen sind wegen mir gekommen. Das gilt auch für Yogalehrer oder in einer Besprechung. Im geplanten Alltag ist der Konjunktiv oft unnötig, es darf auch ein Indikativ sein. Er ist direkter. Mutiger. Kraftvoller.
Der Konjunktiv markiert den Wunsch: „Würdest Du mir das E-Bike leihen?“ Er lässt uns träumen: „Würde ich im Lotto gewinnen, …“.
Und behutsam fragen: „Würdest Du mir Dein Herz schenken?“
Pflege und Tod. Mir bekannte Themen. Intime Themen. Wie verarbeitet eine bekannte Autorin die Krankheit ihres Mannes literarisch? Das will ich wissen und sehe mir ein Online-Interview an. Die Schriftstellerin ist offen, zugewandt, die Journalistin zögert: Ist die nächste Frage zu privat? Die Kameras sind tief platziert, die Blicke der beiden fallen steil von oben nach unten. Ich schalte aus.
In Online-Meetings habe ich viel erlebt: Menschen sehen links oder rechts vorbei, mich von oben herab oder unten herauf an. Das ist auch der Technik geschuldet. Denn ein echter „Von-Auge-zu-Auge“-Kontakt ist online nicht möglich. Ich kann aber den Eindruck eines Blickkontaktes erzeugen. Dafür sieht man in die Kamera, die auf Augenhöhe platziert sein muss. Nur so hat mein Gegenüber den Eindruck, dass ich ihn oder sie ansehe.
Das Onlinemagazin „filmpuls.info“ beschreibt drei Kameraperspektiven: Die Untersicht, von unten nach oben, macht den Sprecher größer, aber auch bedrohlicher. Die Aufsicht, von oben nach unten, kann überheblich wirken. Die Normalperspektive ist die Augenhöhe. Ich habe direkt neben die Linse einen goldenen Smiley geklebt. Schaue ich in die Kamera, lächelt er mich an.
Im echten Leben sehe ich die Menschen an, wenn ich mit ihnen spreche. Ich gehe in die Hocke, wenn ein Kind erzählt. Ich stehe auf, wenn jemand ins Zimmer kommt. In den ersten Online-Meetings war der Augenkontakt noch kein Thema. Vieles war neu. Inzwischen ist klar: Online fehlt die Nähe. Dann möchte ich mich zumindest über den Blick verbinden.
Mehr über Kameraperspektiven
(Quelle: www.filmpuls.info)
Schon wieder ein Mann im weißen Hemd! Warum sagt ihm niemand, dass sich die Farbe Weiß nicht gut mit der Kameralinse oder dem Scheinwerferlicht einer Bühne verträgt? Wer ein weißes Hemd trägt, wirkt schnell fahl. Mit einem Sakko über dem Hemd ist es nicht ganz so schlimm, aber es bleibt: Weiß ist als Kontrast zum Teint härter als zum Beispiel hellblau.
Ich finde es einfach, vor der Kamera und auf Fotos auf Weiß zu verzichten. Wenn ich das vorschlage, erwidern Trainingsteilnehmer oft: „Aber Chefs tragen doch weiße Hemden.“ Oder: „Weiß sieht doch frisch aus.“ Das mag auch beides stimmen, aber in einem anderen Kontext: Das weiße Hemd kennzeichnet einen Status oder wird im Tageslicht getragen.
Ähnlich heikel kann die Vorliebe für Schwarz sein. Auch dies ist keine gute Farbe vor der Kamera. Und ähnlich groß ist der Widerstand, denn: „Künstler oder Architektinnen tragen nun mal Schwarz.“ Das können sie gerne tun, um ihre Zugehörigkeit zu ihrem Berufsstand auszudrücken. Aber ist das so wichtig, dass man ein schlechteres Bild in Kauf nimmt?
M. hatte Krebs. Der Tumor wurde zufällig, sehr früh entdeckt. Sie wurde operiert und nimmt seitdem Tabletten. Frage ich, wie es ihr geht, höre ich seit vier Jahren „Meine“ Krankheit … oder ... wegen „meiner“ Krankheit ... Anfangs stolperte ich innerlich, dann wartete ich gespannt auf ein „meine“. Schon lang will ich rufen: „Sag doch: die Krankheit! Sonst geht sie nie weg.“
M. ist sehr reflektiert. Ich bat um Erlaubnis, meine Gedanken zur Sprache zu schildern, und fragte, ob ihre Wortwahl bewusst war. Sie antwortete: „Es ist doch meine Krankheit, für die ich auch Verantwortung übernehme. Sonst wären es auch die guten Kontrollergebnisse. So sind es meine guten Ergebnisse.“
„Mein“ benennt den Besitz der Person, „die“ ist nur der Artikel des Wortes Krankheit. Es gibt viele solcher Beispiele: Beschäftigte sprechen über „unsere“ Chefin oder „die“ Chefin. Gelingt dem kleinen Max etwas gut, ist es „unser“ Sohn, gelingt es nicht, ist es „dein“ Sohn oder „der“ Max. Und irgendwann wird aus „meinem“ Mann vielleicht „der“ Ex.
Vermutlich wird ein „mein“ oder „die“ oft unbewusst gesprochen. Trotzdem achte ich darauf. Es lässt Nähe oder Distanz aufblitzen und teilt mir etwas mit.
Im Training sind Teilnehmer:innen oft entsetzt, wenn sie erstmals bewusst hören, wie oft sie „Äh“ oder „Mmm“ sagen. Sie finden es peinlich, wollen es ändern. Allerdings haben sie ihre eigenen „Äh“ während des Sprechens nicht bemerkt oder gehört.
ZEIT Wissen nennt Experimente und Studien, wonach die vermeintlichen Pausenfüller das Sprachverständnis fördern. Es seien Zauberwörter. Das entlastet den Sprecher vielleicht. Trotzdem lenkt ein „Äh“ vom Inhalt ab und stört den Redefluss. Es dürfen nicht zu viele werden. Auf Nachfrage begründen Teilnehmer das unbemerkte „Äh“ so: „Ich war zu schnell und wusste nicht genau, was ich sagen wollte.“
Das „Äh“ ist ein Weckruf: 1. Hören Sie sich beim Sprechen selbst zu. Nur wer das „Äh“ überhaupt bemerkt, kann es ändern. 2. Ein Interview, eine Rede oder ein wichtiges Gespräch sind Auftritte. Sie erfordern mehr Konzentration. 3. Haben Sie Mut zur Pause. Sie lässt Ihre Worte wirken.
(Quelle: www.zeit.de, 24.4.2021)
Die Psychoanalytikerin Susie Orbach zur Frage, wie man Kindern ein gutes Körpergefühl vermittelt.
(...)
ZEITmagazin: Was ist eigentlich mit den Vätern? Die haben doch genauso (wie die Mütter) Einfluss!
SUSIE ORBACH: Oh ja, absolut! Gleichzeitig haben sie sich mit Körperfragen oft weniger beschäftigt, weil sie es nie mussten. Deshalb verstehen sie nicht, was so schlimm daran sein soll, wenn sie ständig das Aussehen ihrer Tochter loben: Du hast aber ein süßes Kleid an! Mit diesen Komplimenten ist es in der Pubertät dann oft vorbei, weil Väter unsicher werden, ob sie das noch dürfen, wenn ihre Tochter weiblicher wird. Wenn sie sich aber angewöhnen, das Engagement ihrer Tochter zu loben, ihre Durchsetzungskraft, ihren Witz, was auch immer, dann ist dieses Lob viel langlebiger.
(...)
(Quelle: ZEITMAGAZIN NR. 14, 1.4.2021)
Der Dirigent Herbert Blomstedt
JULIA SPINOLA: Hatten Sie wirklich solche Selbstzweifel?
HERBERT BLOMSTEDT: Selbstzweifel begleiten mich immer.
Selbstzweifel sind gut. Das Umgekehrte, ein Zuviel an Sicherheit,
ist tödlich in der Kunst. Natürlich muss ein Gleichgewicht gehalten
werden. Die Zweifel dürfen nicht zerstörerisch wirken.
(Quelle: Herbert Blomstedt, Mission Musik, Henschel Bärenreiter)
Der CEO Nikolaus von Bomhard
BRAND EINS: Seit Sie bei Munich Re Vorstandschef sind, …
Sind Ihnen noch nie Zweifel an der Richtigkeit Ihrer Strategie
gekommen?
VON BOMHARD: Mir gefällt ein Gedanke des Dichters Erich
Fried. Er rät, Angst vor dem zu haben, der keine Zweifel kennt.
Jede Strategie muss regelmäßig hinterfragt werden, …
(Quelle: brand eins, 01/2012)
Der Rennfahrer Sebastian Vettel
ZEIT: Sind Ihnen Selbstzweifel fremd?
VETTEL: Nein, ich bin ein ganz normaler Mensch. Ich empfinde
mich als sehr selbstkritisch. Vor allem schaue ich, wenn es nicht
läuft, zuerst auf das, was ich hätte besser machen können, bevor ich
mit dem Finger auf andere zeige. Meine Erwartungen an mich sind
meist höher als die Erwartungen von außen.
(Quelle: DIE ZEIT, 18.11.2020)
„Ich leite den Vertrieb“ oder „Ich kümmere mich um den Vertrieb“. Beides ist möglich, ich muss mich entscheiden, ob ich Kümmerer oder Leiter bin. Wir können drauflos sprechen oder überlegen, was wir ausdrücken wollen. Wenn mir bewusst ist, dass Sprache wirkt, kann ich mich entscheiden.
In meinem Blog „Gebongt“ teile ich mein (Sprach-)Wissen und zeige Sätze, die lebendig und kraftvoll, manchmal auch missraten sind. Entscheiden Sie, was überzeugend ist.